Otheriburg

 

 

Die Otheriburg war, entgegen der üblichen Standorte, an oder auf einem Berg, unmittelbar am Rhein gelegen. Genau am Beginn des Bogens vor dem Dorf Otheri. Sie war ein Zwitter, halb Burg halb Schlossanlage. Gerade aus dieser unklaren Gestaltung zog sie ihren Reiz.

 

Der Rhein war noch nicht begradigt, er schlängelte sich in seinem Bett hin und her. Er pendelte bei Hochwasser auf eine Breite von sechs bis zehn Kilometer. Die am Rhein gelegenen Orte beachteten diesen Umstand und siedelten auf einem natürlichen girlandenartigen Hochufer.

 

      Die Otheriburg war mit einem mächtigen Steinwall versehen. Der innere Boden mindestens um fünf Meter höher gelegen als außerhalb. Damit hatte man eine Sicherheit gegen das häufige Anschwellen des Rheines geschaffen. Zum Rhein hin gab es deshalb keinen Ausgang, keinen richtigen Ausgang.

 

      In halber Höhe der Burgmauer war jedoch eine Pforte, die benutzt wurde, wenn bei Hochwasser Besuch per Kahn kam. Um trotz des unterschiedlichen Hochwasserstandes landen zu können war eine Art Zugbrücke mit Stufen angebracht worden.

 

Allerdings wurde sie recht selten benutzt, seit bei einem früheren erheblichen Hochwasserstand, ein Kahn kenterte und noble Damen und Herren nur durch eine riskante Rettungsaktion vor dem nassen Tod bewahrt werden konnten.

 

Für das Gesinde ergab sich daraus der Vorteil, ungehindert über diese Zugbrücke, bei entsprechendem Wasserstand, baden zu gehen. Für die Knechte entwickelte  sich mit der Zeit ein Wettkampf auf Leben und Tod. Sie versuchten nämlich, beim Höchststand des Wassers, schwimmend zum gegenüberliegenden Ufer und zurück zukommen. Dabei war oftmals eine Strecke von beinahe zehn Kilometer zurückzulegen. Der Sieger war dann über Wochen, mindestens bis zum nächsten Hochwasser, so etwas wie der Ritter der Dienerschaft und wurde von dieser äußerst respektiert und sogar hofiert.

 

Als das die Herrschaften spitz kriegten, waren sie keineswegs erschrocken oder gar empört. Sie organisierten daraus sogar einen offiziellen Wettkampf. Mit der Zeit kamen bei Hochwasser immer mehr Adlige zur Otheriburg um diesem Wettstreit beizuwohnen.

 

Auf dem Wehrgang der Burganlage herrschte bald so dichtes Gedränge, dass bei Wettkämpfen hölzerne Etageren aufgebaut wurden, damit auch die hinteren Reihen mit freiem Blick den Geschehnissen folgen konnten. Das Gejohle der Adligen unterschied sich kaum von dem des Gesindes. Allerdings musste sich dieses mit dem, was der schmale Spalt der kleinen Pforte hergab, begnügen. Ganz Wagemutige standen auf den Treppenstufen der Zugbrücke. Oder auf abenteuerlichen Anbauten, die extra für die  Schwimmwettbewerbe angebracht wurden.

 

Der Startplatz war etwas rheinauf eingerichtet worden, damit der Abtrieb in etwa ausgeglichen werden konnte und in der Regel die Schwimmer gegenüber der Otheriburg anlandeten. Diese mussten dann zu Fuß rheinauf, damit bei der Strecke zurück die Schwimmer möglichst bei der Burg  ankamen. Dort wurden sie dann von den Wagemutigen aufgefischt.

 

Wer dies nicht schaffte wurde unweigerlich vom Fluss mitgenommen und musste, nach der Landung, den Weg zu Fuß zurücklegen. Da sich auch am Ufer Schaulustige eingefunden hatten, nicht selten von Hohn und Spott begleitet.

 

Ein regelrechter Jahrmarkt bildete sich mit der Zeit, der mit jedem Hochwasser größer wurde.

 

Die Otheriburg war zu jener Zeit noch etwas rustikal und bot den vielen adligen Gästen recht wenig Komfort. Sie mussten in mitgebrachten Zelten hausen, teilweise sogar weit weg von der Burg. Wettspiele und der Zehnt aus den Veranstaltungen anlässlich des Jahrmarktes brachten dem Grafen Otheri viel Reichtum. Es war ihm deshalb finanziell möglich in dem großen Geviert der Burg ein schlossähnliches Bauwerk erstellen zu lassen.

 

Feierlichkeiten und Übernachtungen waren nun

kein Problem mehr für die adligen Besucher. Einzig und allein die Engpässe bei der An- und Abreise waren nicht in den Griff zu bekommen. Das lag daran, dass auf der Rhein abgewandten Seite zwar ein großes Tor eingelassen war, aber um das Wasser aus der Burg zu halten als einziger Zugang ein hoher, schmaler und langer Damm vorhanden war.

 

Dieser Damm musste nach jedem Hochwasser repariert werden. Um die Kosten gering zu halten war der Damm etwas breiter als ein Fuhrwerk, und war deshalb nur in eine Richtung zu benützen. Die Richtung der Benutzung, raus oder rein, wurde per Wimpel angezeigt. War der Wimpel in der Burg hochgezogen, konnte niemand von außerhalb kommen und umgekehrt. Die jeweiligen Posten waren die Wimpelmänner!

 

Der Burgherr konnte sich nicht entschließen den Damm zu verbreitern. In früheren Kriegszeiten hatte sich die geringe Breite als vorteilhaft erwiesen. Deshalb die zögerliche Haltung zum Ausbau des Dammes. Dem Rummel schadete dies jedoch nicht.

 

Die freigewordenen Räumlichkeiten im Burggemäuer boten nun Platz für etwas ganz neues. Zwar hatte der Graf Otheri zwei, drei Kutschen und die dazugehörenden Pferde. Diese wurden gelegentlich auch als Reitpferde benutzt. Aber jetzt konnte er es sich erlauben einen Marstall einzurichten, wie er einem König gebühren würde. 

 

Sein oberster Pferdeknecht war ein rechtschaffener Mann, jedoch für die Führung eines beinahe königlichen Marstall nicht geeignet. So kam es, dass er einen Leiter für seinen Marstall suchte. Herolde brauchte er keine auszusenden, denn die heimkehrenden Adligen erledigten dies nahezu perfekt. Bei Hausfesten und ähnlichen Veranstaltungen war der Plan des Grafen Otheri Gesprächsmittelpunkt.

 

So gelangte die Nachricht auch zu meinem Vater. Er war in Andalusien/Spanien aufgewachsen und mit Pferden groß geworden. Er war ein Pferdekenner durch und durch. Er hatte sich schon recht früh einen Namen als Pferdezar gemacht. Er war mit der Zucht des Pura Raza Espanola beauftragt. Die Zucht wurde außerordentlich streng gehandhabt,

das Zuchtbuch wurde vom Kriegsministerium  verwaltet. Nur Hengste und Stuten, die hier registriert waren, wurden zur Zucht zugelassen. Bei Vorführungen  dieser Rassepferde auf der Equitana war er allein verantwortlich.

 

Sein größter Wunsch an der spanischen Hofreitschule in Wien eine Anstellung zu finden, hatte sich bis dato leider noch nicht erfüllt.

 

Nun liebäugelte  er mit dem Posten des Leiters eines Marstalles. Es fiel ihm unheimlich schwer seine Heimat zu verlassen. Er konnte sich nicht sofort entscheiden. Als jedoch das Militär von der Sache Wind bekam, setzte es ihn einfach vor die Tür. Damit waren die Würfel gefallen. Mein Vater machte sich auf den Weg zum Rhein.

 

Er hatte etwas gespart und lies es deshalb langsam angehen. Über die Alpen führte sein Weg nach Südfrankreich.

 

Ein Pferdeland par exzellence, wenn es um frei lebende Pferde ging. Er blieb länger  als ursprünglich geplant.  Er arbeitete einige Zeit als Gardian (südfranzösischer Rinderhirte) um die Qualitäten des Camargue-Pferdes kennen zu lernen.

 

Er konnte sich von der Widerstandsfähigkeit und Genügsamkeit überzeugen. Die harten Lebensbedingungen im Rhone-Delta machten dem Pferd nichts aus. Es konnte mit geschlossenen Nüstern unter Wasser fressen.

 

In einem Gestüt bei Arles wollte er sich über die Zuchtmöglichkeiten informieren und dann aber weiter zur Otheriburg reisen.

 

Er hoffte wohl, die Stelle als Leiter des Marstalles bei dem Grafen Otheri sei schon besetzt, weil er’s gar so langsam angehen ließ. Der Graf war sehr wählerisch und hatte alle bisherigen Bewerber vergrault. Meinem Vater war er aber regelrecht verfallen. Mein Vater war mittelgroß, hatte eine kräftige Statur, war dunkelhäutig mit schwarzem Haar und schwarzen Augen.

 

Der  vom inzwischen ausschweifenden Leben schon etwas gezeichnete Graf war hin und weg. Ebenso die Gräfin, man kann sagen alle Burgbewohner waren es. Es war sofort klar, mein Vater bekam die Stelle.

 

Der Aufbau des Marstalles war nicht leicht. Der mit wenig Pferdeverstand ausgestatte Graf war versessen darauf Pferde arabischer Abstammung zu kaufen. Mein Vater brauchte viel Überredungskunst und musste sein ganzes Fachwissen aufbieten, um den Grafen zu überzeugen, dass als Grundlage für den Marstall zunächst nur einheimische Pferde bestens geeignet waren. Erst mit der Zeit sollten für die Zucht auch Pferde anderer Rassen angekauft werden. Allerdings konnte mein Vater den Grafen überzeugen gleich zu Beginn auch Pferde aus der Camargue in seine Zucht aufzunehmen. Diese sollten nicht zu Kreuzungen angeschafft werden, sondern als Arbeitspferde für die Landwirtschaft herhalten.

 

Pferde aus der Camargue galt es anzukaufen. Mein Vater machte sich mit einem kleinen Trupp auf den Weg ins Rhone-Delta. Es war eigentlich leicht die angekauften Pferden durch Frankreich zu treiben. Mensch und Tier kamen gesund und munter in Otheri an.

 

Die Adligen, die bisher nur wegen der Schwimmwettspiele gekommen waren, fanden gefallen

an den wunderschönen Pferden des Grafen Otheri. So blieb es nicht aus, dass immer wieder Pferde, insbesondere die Fohlen aus der Zucht weggekauft wurden.

 

Jetzt mussten verstärkt aber auch Pferde aus anderen Ländern zur Zucht beschafft werden. Zunächst holte mein Vater Pferde aus Andalusien. Die spanischen Pferde, viel graziler und empfindlicher als die Pferde aus der Camargue, machten es meinem Vater sehr schwer. War der Weg von Südspanien bis zu den Alpen schon eine große Leistung, war die Überquerung der Alpen unmöglich.

 

Vater änderte seine Route und machte einen erheblichen Umweg zum Atlantik. Von dort ging es per

Schiff nach Marseille und wieder quer durch Frankreich zurück an den Rhein. Für Mensch und Tier waren das außerordentliche Strapazen. Die Andalusier

hatten es nicht einfach am Rhein heimisch zu werden. Die Zuchterfolge blieben zunächst auch aus.

 

Mein Vater wollte es mit Lippizanern aus Lipica/Slowenien (ital. Lippiza) versuchen. Von Adligen aus Österreich hatte er erfahren, dass diese Rasse bei der Zucht eine angenehme Rittigkeit zugrunde liegt. Dass sie munter und freudig sind. Einen freundlichen und ausgeglichen Charakter haben, schnell lernen und mit Eifer arbeiten. Trotz des gutmütigen Wesens hat diese Rasse eine auffällige Ausstrahlung und eine gehörige Portion Mut. 

 

Eine größere Reise wurde vorbereitet. Auch die Grafenfamilie wollte diesmal dabei sein und Verwandte im Burgenland/Österreich besuchen.

 

Der Marstall war ziemlich ausverkauft, so dass es genügte wenn die Knechte nach dem Rechten sahen. Ganz wohl war meinem Vater nicht, denn es waren auch sehr edle Pferde dabei die besonders zu hegen und pflegen waren. Schweren Herzens trennte er sich von seinen Lieblingen, aber nicht ohne dem obersten Pferdeknecht Verhaltensregeln einzubläuen.

 

Ganze vier Monate dauerte die Reise nach Lipica/Slowenien. Sie war sehr erfolgreich. Nicht nur was einen weiteren Zuchterfolg erwarten ließ, sondern weil auch in der Liebe einiges zu erwarten war. Mein Vater und die Tochter des Besitzers der Pferdezucht fanden Gefallen aneinander und wollten von nun ab gemeinsam durch das Leben gehen. Wenn sie sich auch erst kurz kannten, so bestand der Vater meiner Mutter darauf eine echt ungarische Bauernhochzeit zu veranstalten.

 

Damit alle Verwandten rechtzeitig benachrichtigt werden konnten  wurde der Hochzeitstermin lange hinausgezögert. Endlich aber wollten die beiden frisch Verliebten nicht mehr länger warten. Außerdem sollte nach einem Abstecher nach Triest/Italien die Heimreise noch im Herbst beginnen..

 

Der Heimweg mit den jungen Pferden, den mit vielen Geschenken beladenen Wagen und dem weitaus größeren Gefolge als bei der Anreise, war nicht so einfach. Das Überqueren der Donau war allein für sich ein Abenteuer.

 

Noch schwieriger wurde es am Rhein. Beim letzten Hochwasser waren die Fähren beschädigt oder gar abgetrieben worden.

 

Das Zimmern von Behelfsmöglichkeiten zum Übersetzen über den Rhein wurde erforderlich. Ein Bravourstück war das Überqueren des Rheines per Pferd. Die Herde wurde in kleine Abteilungen aufgeteilt und einzeln durch den Rhein geführt. Zoltan, ein junger ungarischer Pferdenarr, wuchs über sich hinaus und leitete den größten Teil der Herde sicher durch die immer noch imposanten Fluten.

 

Einen verlustfreien Übergang der Pferde und Knechte konnte mein Vater dem Grafen  Otheri melden. Die Gruppe des Grafen hatte allerdings keine so gute Hand und musste den Verlust einiger wertvoller Sachen hinnehmen. Auch waren sie durchweicht bis auf die Haut. Endlich wieder zu Hause stöhnte der Graf, mitsamt seinem Gefolge.

 

Die meisten ungarischen Helfer konnten die Enge der Otheriburg nicht ertragen und baten, sie aus den Diensten zu verabschieden und nach hause zu entlassen. Schweren Herzens nahmen sie Abschied von meiner Mutter, Zoltan und vier weitere Slowenen blieben  in Otheriburg.

 

Die Lippizaner brauchten sehr viel Auslauf, weshalb weit entfernt vom Marstall weitere Stallungen gebaut wurden.

 

Eine wunderschöne Reithalle mit kleinem Herrenhaus folgten den Stallungen. Im Herrenhaus wohnten meine Eltern. Zoltan und die weiteren Pferdehelfer genügte ein kleiner Schlafplatz über den Stallungen.

 

Der oberste Stallknecht hatte sich strikt an die Anweisungen meines Vaters gehalten und während dessen ungeplant langer Abwesenheit gezeigt, dass er auch etwas von Pferden verstand. Es gelang ihm erfolgreich die Zucht im kleinen fortzusetzen und hatte dem Marstall drei Fohlen zugeführt. Aufgrund dieses Erfolges verfuhr man künftig zweispurig. Die Pferde im Marstall wurden nicht mit den Lippizanern zusammengeführt. Man versuchte nicht wie ursprünglich geplant die Kreuzung zwischen einheimischen Pferden, denen aus der Carmarque, Andalusien und Lipica, sondern ließ mehr oder weniger die einzelnen Rassen unter sich.

 

Die Folge war, man konnte viele Wünsche befriedigen und erlangte einen sehr guten Ruf in der Pferdewelt.

 

Meiner Mutter und ihren Freunden fehlte jedoch die slowenischen Spezialitäten, Feste und Gastlichkeit und die Geigenmusik. Die Arbeit mit den Pferden ersetzte die Sehnsucht nicht. Sie wurde immer größer. Als ich mich ankündigte war vorübergehend die Sehnsucht überdeckt.

 

Der Zufall wollte es, dass beinahe zeitgleich auch die Grafenfamilie Zuwachs vermelden konnte. Aber welch ein Unterschied zwischen der schwangeren Gräfin und meiner Mutter.

 

Diese leistete nach wie vor ihre Arbeit bei den Pferden, die hauptsächlich in der medizinischen Betreuung bestand. Hierfür hatte meine Mutter ein goldenes Händchen.

 

Die Geburten führten dazu, dass die beiden Väter von dem mitgebrachten Slibowitz eine Idee zu viel probierten und übermütig wurden. Zu allem Überfluss führte der Rhein mal wieder Hochwasser, ein Jahrhunderthochwasser hieß es.

 

Mein Vater hatte bisher vermieden an Wettschwimmen teilzunehmen und immer seine Abwesenheit mit dem Wohlbefinden seiner Pferde begründet. Er war kein schlechter Schwimmer. Hatte er doch in seiner Jugend mehrmals den Guadalquivir überquert.

 

Heute nun stach in der Hafer. Er wollte zu seiner Vaterschaft sich selbst beweisen was für ein Kerl er war. Zoltan war der einzige der mitbekam was mein Vater vor hatte. Zoltan versuchte mit allen Mitteln meinen Vater von diesem aberwitzigen Plan abzuhalten. Jedoch ohne Erfolg. Mein Vater stieg in die Fluten und kam zunächst auch ganz gut zu recht. Er überquerte den Rhein und war schon wieder auf dem Rückweg als ein mächtiger Baumstamm auf ihn zutrieb. Alles Rufen von Zoltan nützte nichts. Mein Vater hatte nicht mehr die Kraft durch tauchen dem Baumstamm auszuweichen. Der Baumstamm drückte ihn unter Wasser und nahm ihn unweigerlich mit rheinabwärts.

 

Das laute Rufen von Zoltan blieb nicht ungehört.  Beinahe das ganze Gesinde kam zum Ufer. Es konnte nur noch das verzweifelte Rufen von Zoltan aufnehmen. Meinem Vater war nicht zu helfen. Sein geschundener Körper wurde nach langem Suchen am seichten Ufer nahe bei Walse gefunden.

 

Meine Mutter war sehr beherzt, trotz des Schmerzes, und pflegte und hegte Vater Tag und Nacht. Sie lebte wie in Trance. Eine Besserung des Zustandes war kaum wahrzunehmen. Meine Anwesenheit und ab und zu medizinische Aufgaben bei den Pferden lenkten sie ein wenig ab.

 

Zoltan wollte sie wieder zurück in die Heimat bringen in der Hoffnung sie wieder dem Leben zurückzuführen. Sie aber wollte den Ort an dem sie mit meinem Vater sehr glücklich war nicht verlassen. Außerdem glaubte sie an die Genesung meines Vaters. Sie war auch der Auffassung es ihm schuldig zu sein mich hier aufwachsen zu lassen. Zoltan gab schweren Herzens nach. Obwohl er sehr gerne zurückgegangen wäre verzichtete er meiner Mutter zuliebe, und blieb.

 

Zoltan übernahm zwar die Arbeit meines Vaters und hätte sicherlich auch die Begabung dazu gehabt. Er war aber nicht mit dem Herzen bei der Sache. Heimweh plagte ihn Tag und Nacht.

 

Die Pferdezucht stagnierte auf einem guten Niveau. Manchen Anforderungen der Adligen auf noch bessere Zuchterfolge war durch das Herzeleid von Zoltan der Weg verbaut.

 

Ich entwickelte mich prächtig und konnte meine Mutter ab und zu aufheitern, ja sogar zum Lachen bringen. Mit Zoltan war es da schon schwerer. Erst als ich zum Steppke herangereift war, konnte Zoltan mit mir etwas anfangen. Er setzte mich bereits, bevor ich richtig laufen konnte, auf den Rücken der verschiedensten Pferde.

 

Inzwischen war es gelungen für Vater einen Sitzplatz vor dem Herrenhaus einzurichten. Ob er von dem Geschehen draußen etwas mitbekam blieb sein Geheimnis.

 

Die Gene meines Vaters, was Pferde betraf, hatte ich voll und ganz geerbt. Ich war der geborene Reitersmann. Damit machte ich Zoltan glücklich und das Heimweh trat in den Hintergrund. Bei allen Erklärungen, Deutungen und Hinweisen Zoltan´s hing ich an seinen Lippen. Ich hatte Pferdeblut in den Adern.

 

Zoltan und meine Mutter hatten keine Verbindung zur Otheriburg. Wenn Adlige die Lippizaner anschauen  wollten kamen sie zu uns. Dabei war dann immer in einer kleinen Kutsche, gezogen von zwei Zwergpony´s, Dorian, der Sohn der Grafenfamilie. Diese bezeichneten ihn als ihren Prinzen. Die Dienerschaft eignete sich deshalb an Dorian mit Prinz anzureden, obwohl er doch gar kein Thronfolger war. Anfangs musste ein Knecht die Pony´s führen. Mit zunehmendem Alter konnte Dorian, genannt Prinz, jedoch alleine die Kutsche lenken.

 

Dorian war begeistert von meinen Reitkünsten und kam immer öfter zu Besuch. Er wollte ebenso wie ich reiten lernen. Zunächst mehr recht als schlecht, aber dann unter der Anleitung von Zoltan wurde er zu einem passablen Reiter. Dadurch war es möglich, dass wir gemeinsam reitend die Gegend erkundeten.

 

Es entstand eine Freundschaft zwischen uns beiden, die auch nicht durch die unterschiedliche Herkunft beeinträchtigt wurde.

 

Dem Äußerlichen, der Kleidung, die die Herkunft unterstrich, spielten wir einen Streich in dem Dorian von mir viel bequemere und für´s Reiten besser geeignete Kleidungsstücke erhielt.

 

Aus Übermut wechselten wir jedoch ab und zu einfach die Hosen und Jacken. Das war kein Problem wir waren körperlich ziemlich ähnlich.

 

So wuchsen wir unbekümmert heran und machten den Erwachsenen viel Freude. Das heißt ich machte viel Freude. Dorian musste sich immer Predigten, insbesondere seiner Mutter anhören, dass es nicht schicklich sei, dass er aus adligem Haus stammend mit dem Sohn einer Magd und eines Krüppels aufwuchs, so engen Kontakt pflege und auch noch die Kleidung wechsele.

 

Dorian sprach nie darüber, wenn wir zusammen waren. Aber irgendwie merkte ich es. Er war dann immer leicht verkrampft und nicht so bei der Sache. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und konnte so verhindern, dass er wegen Unachtsamkeit aus dem Sattel fiel.

 

Die Jahrmärkte anlässlich der Überschwem-mungen übten auf uns einen besonderen Reiz aus. Wir ritten dann zu Pferde hin und veranstalteten auch hin und wieder ein kleines Rennen. Das wir aber immer pari enden ließen. Manchmal übertrieben wir das Ganze und jagten um den Platz auf dem die Jahrmarktsbuden standen.

 

Dabei kamen wir an einem Zigeunerlager vorbei. Neugierig hielten wir an und schauten den Fremden bei allem was sie machten zu. Neben Schein-wettkämpfen mit und ohne Waffen hatte es uns eine Gruppe mit Akrobaten angetan. Die waren ganz schön fix. Neben Einzeldarbietungen bauten sie auch Pyramiden mit allen Akteuren.

 

Mutter war nicht sehr begeistert als ich ihr davon erzählte. Sie sagte mir, ich solle mich fernhalten. Den Zigeunern ginge kein guter Ruf voraus.

 

Eines Tages war Dorian sehr betrübt. Er druckste und druckste bis er endlich in der Lage war eine klare Aussage zu machen. Wir gingen beide auf das siebente Lebensjahr zu. Sein Vater hat ihm klipp und klar vor Augen geführt, dass die Zeit der Freiheiten mit Beginn des 7. Lebensjahres vorbei seien und er dann ganz im höfischen Sinne erzogen würde. Ein Hauslehrer würde sich dann um seine Erziehung und Bildung kümmern. Wenn ihm das nicht passe, wäre da noch die Möglichkeit in ein Kloster fernab gesteckt zu werden.

 

Zunächst wollten wir ausbüchsen und machten auch schon Pläne. Je weiter wir uns ausmalten was wir machen wollten, um so unsinniger kamen uns unsere Pläne vor. Übrig blieb als Ergebnis wenigstens drei Tage von zu Hause wegzubleiben.

 

Wir versorgten uns heimlich mit Proviant, richteten ein Nachtlager ein und warteten auf eine günstige Gelegenheit für Dorian.

 

Die Grafenfamilie war zu einem größeren Fest eingeladen. Das wollten wir ausnutzen und unseren Plan umsetzen.

 

Da ich keine Probleme hatte mit Mutter und Zoltan darüber zu reden, erzählte ich von unserem Vorhaben. Mit Bauchgrimmen stimmten sie zu. Reichhaltige Vorsichtsmaßregeln wurden gepredigt und dann doch gute Wünsche für ein erfolgreiches Gelingen zum Abschied zugerufen.

 

Dorian und ich wollten in den drei Tagen noch einmal alles durchziehen was wir bisher gemacht hatten, auch den Kleidertausch.

 

Unser einsames Treiben blieb nicht unbeob-achtet. Einige Zigeuner waren auf unserer Spur. Wir merkten es nicht.

 

Am zweiten Tag war der Kleidertausch geplant und zwar von morgens bis abends.

 

Ein Zigeuner blieb als Beobachtungsposten zurück. Die anderen gingen ins Lager. Dort wurden Planungen zur Entführung von Dorian, genannt Prinz, geschmiedet. Es dauerte den ganzen Tag bis sich die Zigeuner über den Ablauf der Entführung, der Lösegeldforderung und dem Rückzug im Klaren waren. Spät am Abend machten sie sich auf den Weg um Taten folgen zu lassen.

 

Der Wachposten war eingeschlafen und hatte so nichts mitbekommen von unserem Kleidertausch. In der Dunkelheit wollten sich die Zigeuner zur Unterscheidung von uns nur nach der Kleidung richten.

 

Hundemüde waren wir nach dem kargen Abendessen angelehnt an dicke Baumstämme im Sitzen eingeschlafen. Ein Wechsel der Kleidung war deshalb gegen die Absprache nicht passiert. Die Folge davon war, die Zigeuner schnappten den falschen Prinzen. Nämlich mich.

 

Damit ich keinen Lärm machen konnte betäubten sie mich und schleppten mich in ihr früheres Lager. Die Zurückgeblieben hatten das Lager schon komplett geräumt und waren zum Abmarsch bereit. Gemeinsam ging es dann in die Wälder. Dort suchten sie ein ideales Versteck und verharrten bis zum Morgen. Dann sollte ein Bote zu der Grafenfamilie reiten und die Lösegeldforderung stellen.

 

Da ich bis zur Nasenspitze zugedeckt war, fiel bis zum Losreiten des Boten die Verwechslung nicht auf.

 

Als die Morgenkühle Dorian endgültig weckte, glaubte er zunächst an einen Scherz meinerseits. Ich solle aus meinem Versteck kommen und keinen Blödsinn machen. Wenn ich nicht bald käme würde er ohne mich nach hause reiten. Als ich mich immer noch nicht meldete wurde es ihm unheimlich. Schnell suchte er seine sieben Sachen zusammen und ritt mit beiden Pferden zu meiner Mutter und Zoltan.

 

Selbstverständlich war ich nicht zu hause. Die Nachricht über mein Verschwinden weckte schlimme Ahnungen bei meiner Mutter.

 

Zoltan überlegte nicht lange und ritt mit Dorian zur Otheriburg. Sie trafen gleichzeitig mit dem Boten der Zigeuner dort ein. Dieser erkannte noch rechtzeitig die neue Sachlage und spielte den Harmlosen. Weil ich nirgends gefunden wurde entstand aller Orten Aufregung und Unruhe. Dies nutzte der Bote um unerkannt zu entkommen.

 

Die Zigeuner waren verdutzt als der Bote so schnell wieder aufkreuzte. Als sie mich genauer betrachteten waren die Vermutungen bestätigt, sie hatten den Falschen entführt. Schnell machten sie sich aus dem Staub. Statt Lösegeld nahmen sie mich mit.

 

Zoltan ritt zu unserem Nachtlager und konnte erkennen was passiert war.  Sein Verdacht gegen die Zigeuner wurde bestätigt als er feststellte, dass diese ihr Lager abgebrochen hatten.

 

Mit vor Wut verzerrtem Gesicht trommelte er die besten Reiter zusammen und machte sich auf die Verfolgung. Wüste Beschimpfungen und Aussagen über alle möglichen Todesarten, die beim Auffinden der Zigeuner angewandt werden sollten, begleiteten die Suche.

 

Obwohl sich Zoltan und seine Helfer alle Mühen gaben fanden sie das neue Versteck der Zigeuner nicht. Zu allem Übel fing es dermaßen zu regnen an, dass alle eventuellen Spuren verwischt wurden. Müde und enttäuscht kehrten alle heim.

 

Auf  betreiben von Dorian hatte die Grafenfamilie nach ihrer Heimkehr noch einmal eine große Suchaktion gestartet. Keiner der Dorfbewohner hatte die Zigeuner und den entführten Jungen gesehen. Einige, so auch Zoltan suchten Tage und Wochen nach der Zigeunersippe. Alles ohne Erfolg.

 

Die Zigeuner konnten aus ihrem Versteck heraus die Suchaktionen verfolgen. Sie hatten eine Heidenangst gefunden zu werden. Sie vermieden alles was zu ihrer Entdeckung hätte führen können. Die Pferde wurden Tag und Nacht bewacht. Es wurde kein Feuer angezündet. Jedes Geräusch wurde vermieden. Endlich zogen sich die Knechte erfolglos zurück. Als dann noch der große Regen einsetzte waren sie gerettet.

 

Die Wagen wurden zur Abfahrt hergerichtet. Immer noch ging alles möglichst leise vonstatten. Als Vorbeugungsmaßnahme fuhren die Wagen in Abständen von nahezu einer halben Stunde los. Sie blieben auch nicht zusammen. Bei der ersten Gelegenheit schlug jeder eine andere Richtung ein. Man sollte sie nicht zusammen sehen.

 

Zur Sicherheit blieben zwei Mann noch zurück und beobachteten die Szene. So bekamen sie auch mit, dass noch mal eine große Suchaktion gestartet wurde.

 

Die getrennten Reiserouten waren offenbar vorher geplant und genau abgesprochen worden. Wie sonst hätten die beiden Beobachtungsposten unseren Wagen finden können?

 

Meine Betäubung wurde während der Flucht immer wieder erneuert, damit ich nicht auffallen würde und die ganze Sache verraten könnte.

 

Mit der Zeit kehrte wieder mehr Ruhe und Zuversicht bei den Zigeunern ein, aber auch Vernunft. Sie konnten sich durchringen mich ohne Betäubungsmittel zu lassen. Wie in Trance erlebte ich noch die nächsten Stunden. Bald benahm ich mich wieder normal. Sie gaben mir zu verstehen, dass sie mich wieder zurückbringen würden. In einem größeren Bogen fuhren wir nach hause.

 

Mutter war überglücklich als sie mich in die Arme nahm. Es war ein hartes Stück Arbeit ihr abzuverlangen die Zigeuner nicht zu verraten. Wir schieden trotz allem in verhaltener Freundschaft.

 

Dorian befolgte anfänglich den Weisungen seines Vaters und die des Lehrers. Er war jedoch infiziert vom freien ungebunden Leben und büchste immer wieder aus um mich zu besuchen. Sein Vater schob mir die Schuld zu. Meine Familie musste unter der ganzen Situation leiden. Vater ging es immer schlechter. Mutter nahm es sich so zu herzen, dass auch sie nicht mehr zu erkennen war. Als Vater starb war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

 

Noch ganze zwei Jahre schleppte sie sich durchs Leben, um dann ganz still und leise abzutreten.

 

Jetzt hatte ich nur noch Zoltan. Dorian war von seinem Vater tatsächlich in ein weit entferntes Kloster gesteckt worden. Die Pferdezucht war nicht mehr so erfolgreich wie früher. Das Wettschwimmen wurde eingestellt. Es wurde ruhig in und um Otheriburg. Der Jahrmarkt war unrentabel und wurde

nicht mehr veranstaltet. Nichts war mehr wie früher.

 

Zoltan und seine Freunde wollten zurück nach Lipica. Ich sollte mitgehen. Hatte aber überhaupt keine Freude daran. Daran änderten auch die eindringlichen Briefe meines Großvaters nichts. Er war inzwischen in den Ruhestand getreten und hatte mit der Pferdezucht nichts mehr zu tun.

 

 

 

 

 

Zigeunerleben

 

Nichts war mir geblieben. Die Eltern waren tot. Die Freunde nach hause geeilt. Das Haus, der Reitstall, die Koppeln, alles war leer, genau wie mein Kopf. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich geisterte planlos umher. Nur mein Pferd, das mir schon sehr lange ein treuer Begleiter war, sorgte etwas für Ablenkung. Immer wenn ich es besuchte, oder gar ausritt, sprühte es vor Lebensfreude.

 

Hätte mich eine liebe alte Magd nicht gelegentlich mit Essen versorgt, ich glaube ich wäre verhungert.

 

Den beiden habe ich es zu verdanken, dass ich endlich wieder normal wurde, klare Gedanken fassen und Pläne schmieden konnte.

 

Als erstes taufte ich mein Pferd um, und zwar auf den Namen „Zoltan“. Dann flüsterte ich ihm meine Pläne ins Ohr. Ich wollte absolut die Heimat meines

 

verstorbenen Vaters kennen lernen. Andalusien in Spanien lautete das erklärte Ziel.

 

Wie ich allerdings dahin kommen sollte war noch mehr als rätselhaft. Ich konnte mich zwar an einige Reisewege erinnern, die Vater bei Erzählungen über die verschiedenen Pferdekäufe erwähnte, aber eine geordnete Übersicht war mir nicht möglich.

 

Die bereits erwähnte Magd versorgte mich mit Reiseproviant für die nächsten 14 Tage. Auch hatte sie an Reservekleidung und Utensilien wie Pferdedecke und eine Zeltbahn für die Übernachtungen im Freien gedacht, denn Geld hatte ich nicht viel. Für den Transport dieser Güter stand allerdings kein Packpferd zur Verfügung. Sie hatte jedoch einen Esel dabei, wohlgemerkt einen  halbwilden Esel!

 

Der Abschied fiel mir nicht schwer. Die leerstehenden Gebäude hatten inzwischen etwas düsteres für mich. Ich war froh ihnen entfliehen zu können. Die Magd wollte mir von ihren Rücklagen, die sie vom  kärglichen Lohn gebildet hatte, etwas abgeben. Nur mit barschen Worten der Ablehnung konnte ich sie dazu bringen ihren Sparstrumpf wieder einzupacken. 

 

Ich beeilte mich den zuletzt so unglücklichen Ort meiner Geburt zu verlassen. Zu allem Übel fing es auch noch an wie aus Kübeln zu schütten.

 

Meinem Packmuli gefiel die Wetterlage überhaupt nicht. Er zeigte mir schon recht früh, dass er überhaupt keine Lust hatte bei diesem Wetter zu reisen. Die Allüren des Esels waren mir überhaupt nicht bekannt. So hatte ich das Führseil recht locker dreimal um die linke Hand geschlungen. Nach einigen harmlosen „Bocksprüngen“ nahm der Esel Tempo auf in Richtung eines naheliegenden Heustadel´s.

 

Das Führseil zog sich um die Hand zusammen, ich konnte es deshalb nicht schnell genug lösen und schon hing ich im Schlepptau des Esels. Los ging es über Stock und Stein. Mein Pferd schaute zuerst ganz verdutzt, dann folgte es der sonderbaren Fortbewegung seines Herrn. Unter einem großen Vordach des Heustadels war die wilde Reise zu Ende. Ganz friedlich stand der Esel eng an die Bretterwand gedrückt und schaute mich mit großen Augen an. Ich

hätte jede Wette angenommen, dass er innerlich lachte.

 

Wir waren wieder komplett, denn Zoltan hatte sich ebenfalls unter dem Vordach   eingefunden.

 

Da standen wir nun, nein  ich saß, pitsch nass. Meine Tiere waren nicht zu Schaden gekommen. Dafür hatte es mich ganz ordentlich erwischt. Nach erstem Betasten und in den Körper hörend, glaubte ich ohne ernstliche Verletzung oder Knochenbruch die Rutschpartie überstanden zu haben. Aber alle Bewegungen taten weh.

 

Mühsam rappelte ich mich auf, denn ich musste die Tiere weitestgehend trocken reiben. Material war genügend vorhanden. Zuerst wendete ich mich meinen Pferd zu. Das Abreiben war eine Tortur, und ich war wohl auch nicht so sanft wie sonst. Zoltan war sehr unruhig und erschwerte mir die Arbeit. Dann wandte ich mich dem Esel zu. Erst bei der Hälfte der Arbeit fiel mir auf, der Esel hatte ja gar kein Gepäck mehr?!

Ein Blick zurück verriet mir weshalb. Es hatte sich unterwegs selbständig gemacht und lag verstreut über die ganze Strecke.

Jetzt musste ich noch mal hinaus in den Regen und meine Habseligkeiten zusammensuchen. Das Aufheben jedes einzelnen Gegenstandes war ein Kraftakt, zumal die Sachen durch den Regen ganz schön schwer geworden waren.

 

Der Heustadel war proppe voll, also musste ich mir unterm Vordach ein Nachtlager einrichten. Die Nacht war nasskalt. Alle Glieder glaubte ich zu spüren. Der aufkommende Hunger war ein weiterer Punkt weshalb die erste Nacht unter freiem Himmel meine Reiselust schon erheblich dämpfte.

 

Der Morgen brachte Sonnenschein und neue Abenteuerlust. Die treue Magd hatte die Lebensmittel in eine Ziegenhaut eingepackt und gut verschnürt, so dass kein Schaden durch den Regen entstanden war.

 

Mein Weg führte mich zunächst rechts des Rheines Richtung Süden. Die linke Grenze war durch den Rhein die rechte durch den Pfälzer Wald, dann die

Vogesen vorgegeben. Beim Reiten versuchte ich die nassen Gegenstände zu trocken und etwas zu schlafen. Wenn da nicht in unregelmäßigen Abständen ein iah, iah zu hören gewesen wäre. Der Esel wurde mir immer unsympathischer.

 

         So ging es Tag für Tag vorwärts. Um nicht einzurosten, übte ich alle Reiterkunststücke, die mir Zoltan beigebracht hatte immer wieder durch. Irgendwie hatte ich das Gefühl mit diesen künftig mein Einkommen zu bestreiten. Erstaunlich war die Reaktion meines halbwilden Esels. Der hatte sich mit Zoltan angefreundet. Bei einigen Kunststücken machte er so drollig  mit, dass es glatt wie einstudiert aussah und bei jedem Zuschauer Lacherfolge erzielen mußte.

 

         Von weitem schon sah ich das Münster von Straßburg. Es war unverwechselbar mit seinem fehlenden Südturm. Hier wollte ich das erste mal wieder unter einem Dach logieren. Die Gästehäuser am Münsterplatz waren mir jedoch zu teuer. Ich musste mir am Stadtrand etwas suchen das meiner Geldbörse nicht so weh tat. Vorher wollte ich mich aber am und im Liebfrauenmünster umsehen. Die astronomische Uhr war allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht in Funktion.

 

Ich hatte Zoltan und den Esel in einem Pferdestall untergebracht. Dem Esel schien es nicht zu gefallen unter lauter Pferden zu sein. Es dauerte eine geraume Zeit bis er endlich neben Zoltan einhellig in einer Box stand. Es war zwar dadurch etwas eng; aber es ging. Durch das anfangs widerspenstige Verhalten des Esels wurden drei Männer auf uns aufmerksam. Sie hatten sicherlich Pferdeverstand, denn sie betrachteten Zoltan sehr aufmerksam. Er war zwar durch den Ritt und den Mangel an sorgfältiger Pflege etwas heruntergekommen. Die drei jedoch erkannten  den außergewöhnlichen Charakter, die Intelligenz und die Pracht des Pferdes.

 

Einer blieb bei den Tieren, die anderen beobachteten mich unbemerkt. Nach drei Stunden kehrte ich zum Stall zurück, löste die Tiere aus und machte mich auf die Suche nach einer  günstigen Unterkunft für uns. Die drei folgten in sicherem Abstand. Beinahe vor den Toren der freien Reichsstadt fand ich ein passendes Logis. Der Esel wollte wieder bei Zoltan stehen, weshalb ich eine größere Box am Ende des Stalles auswählte.

 

Obwohl nicht viele Gäste anwesend waren, fielen mir drei mit ihren Gaunervisagen nicht auf. Ich war müde und ging nach dem Abendessen zu meiner Schlafkoje; für meine dünne Finanzlage war ein Zimmer auch hier nicht zu bekommen.

 

Nach Mitternacht drangen Geräusche an mein Ohr, die ich zunächst nicht deuten konnte. Allmählich konnte ich zwischen dumpfen Schlägen und menschlichen Schreien unterscheiden. Das wilde Wiehern von Zoltan riß mich endgültig aus meinen Schlaf. Mit riesigen Schritte eilte ich zum Stall. Mein Herz pochte bis zum Hals. Was war da passiert. Sollte Zoltan entführt werden? Ich stockte, es war nur noch ein erbärmliches Wimmern aus mehreren Kehlen zu vernehmen.

 

Als ich endlich an der Box ankam, konnte ich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. Die drei Galgenvögel hingen über dem Gatter bzw. lagen auf dem Boden und wimmerten herzerweichend. Keiner war in der Lage auf meine Fragen zu antworten; oder sie wollten nicht. Inzwischen hatten weitere  Gäste ihr Nachtlager verlassen und waren in den Stall geeilt.

 

         Der Herbergsvater ahnte wohl, dass die drei mein edles Pferd stehlen wollten. Er wahr auch der einzige, der die richtigen Schlüsse zog. Seiner Meinung nach waren die drei regelrecht in die Mangel genommen worden. Zoltan von rechts und der Esel von links schlugen aus und bissen um sich was das Zeug hielt. Offensichtlich hatten sie den Esel unterschätzt. Sie rechneten nicht mit dessen Beistand für Zoltan. Alle drei hatten erhebliche Blessuren, die bis ans Lebensende sichtbar blieben.

 

Mit der Nachtruhe war´s nun vorbei. Ich packte mein Zeug zusammen und machte mich auf den Weg. Vorher erkundigte ich mich beim Wirt wie ich weiter reisen sollte, wenn ich die Quarmaque wollte. Der Wirt spitzte die Ohren. So ein junges Kerlchen will so weit reisen, ohne jegliche Begleitung? Er bot mir als Reiseführer seinen Hausdiener an. Dieser wollte eh wieder in seine Heimat zurück und hatte womit das gleiche Ziel wie ich.

 

Der Hausdiener war kein Reitersmann. Es dauerte noch geraume Zeit bis er fertig war, dann kam er zu meiner Überraschung mit einem kleinen Planwagen und einem kräftigen Pferd an. Der Planwagen weckte in mir die Erinnerung an meine versehentliche Entführung und weckte natürlich die Neugier, die ich für´s erste noch zügelte.

 

Meinen Esel konnte ich nun von seiner Last befreien da im Planwagen noch ausreichend Platz für meine paar Habseligkeiten war. Ich hatte den Eindruck der Esel würde es mir danken?

 

         Eine herbe Enttäuschung erlebte ich als ich frohgemut nach den Gebräuchen, der Lebensweise, dem Aufenthaltsraum usw. der Zigeuner fragte. Er sei keiner kam seine knappe Antwort. Den Zigeunerwagen habe er geschenkt bekommen, weil er sich mal fürsorglich um eine Zigeunerkönigin kümmerte, die ausnahmsweise alleine unterwegs war. Mehr sagte er mir nicht.

 

         Die Grundrichtung war nun Dijon. Als wir das Elsass verließen, erkannte ich einen der Werte meines Begleiters. Ich konnte kein französisch und wäre ohne ihn nur schwerlich weitergekommen, da die Franzosen keine andere Sprache verstehen wollten!

 

Meine zirkusreifen Reitkünste übte ich wieder regelmäßig. Mein Begleiter sah mir mit Wohlgefallen zu. Es dauerte einige Zeit, dann zeigte er mir seine Künste. Er war ein Akrobat vom Scheitel bis zur Sohle. Genau wie ich es bei den Zigeunern häufig beobachten konnte. Sollte er doch ein Zigeuner, ein Gitanes wie sie von den Franzosen genannt wurden sein?

 

Der Herbst brachte schon die ersten kühlen Nächte. Ich war froh, dass wir im Wagen übernachten konnten. Nach Aussage von Django, so hieß der Hausdiener, läge seine Heimat Arles am Mittelmeer und dort wäre ein angenehmeres Klima. Bis dahin mussten wir aber noch etliche Kilometer zurücklegen.

 

Nicht nur wir wollten nach Dijon, sondern auch viele Leute vom Lande. Dijon wuchs damals an manchen Tagen um einige Hundert Einwohner. Deshalb ging es nur langsam vorwärts. Endlich waren wir angekommen. Eine Unterkunft war wegen der vielen Menschen nicht zu bekommen. Wir benutzten auch weiterhin unseren Zigeunerwagen als Schlafstätte.

 

Nach dem wir uns eingerichtet hatten. machten wir uns auf den Weg Dijon zu erkunden. Dabei hatte ich erstmals das Gefühl beobachtet zu werden. Ich schaute mich immer mal wieder um, konnte aber niemanden entdecken. Wir kamen an vielen Kirchen vorbei bis wir endlich den Herzogenpalast erreichten. Daran grenzten wunderschöne Patrizierhäuser an, die überwiegend als Hotels benutzt wurden.

 

         Wir waren knapp bei Kasse und wollten darum mit unseren Künsten Vorstellungen geben. Um unseren Lagerplatz herum war noch genügend Raum, um ein kleines Variete aufzubauen. Unsere Akrobatik kam gut an. Die Kasse klingelte aber schwach. Hatten doch die meisten Neubürger selber ihre liebe Not mit dem Auskommen.

 

         So konnte es nicht weitergehen. Unsere Vorstellungen mussten wir mehr in die Innenstadt verlegen. Dort erhofften wir auf zahlungskräftigere Zuschauer. Es war gar nicht einfach den Plan in die Tat umzusetzen. Beinahe unser ganzes Geld ging für die Konzession drauf. Unsere akrobatischen Darbietungen konnten noch so schwierig und trotzdem elegant sein, wir kamen beim Publikum nicht richtig an.

Unsere Tiere erzielten mehr Aufmerksamkeit als wir. So kam es dass ich eines Tages nach der Kaufsumme für mein Pferd gefragt wurde. Zoltan war jedoch nicht zu verkaufen. Der Interessent ließ nicht locker und bot eine Wette an, und zwar ein Rennen zwischen seinem und meinem Pferd am Rande von Dijon. Das Rennen sollte sofort stattfinden.

 

Django, der Gute, versuchte mir von dem Rennen abzuraten. Er fürchtete wohl ich würde  meinen Zoltan verlieren. Es war zwar schon länger her, ich erinnerte mich aber schnell wieder an die Rennen, die ich mit Dorian, dem Prinzen, veranstaltete. Der hatte sich von Rennen zu Rennen gesteigert, mich aber nie geschlagen.

        

         Mein Gegner bot an, dass wir auf ihn warten bis er mit seinem Pferd wieder hier wäre, um dann gemeinsam zum „Rennplatz“ zu gehen. Die Umstehenden bekamen natürlich das Geschehen mit. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem bevorstehenden Ereignis. Alle wollten unbedingt dabei sein. Eine riesige Menschenmenge begleitete uns.

 

         Vor den Toren Dijon zeigte sich ein Platz, der offensichtlich schon häufig für solche Wettrennen benutzt wurde. Die Huldigungen an meinen Gegner waren ein klares Zeichen dafür, dass er schon öfter hier Rennen bestritten und wohl auch gewonnen hatte. Django wurde immer blasser um die Nasenspitze, sagte aber kein Wort. Ich ließ mich nicht beeindrucken.

 

Die Flagge senkte sich. Los ging die Chose. Ich hielt mich seitlich versetzt hinter meinem Gegner. Er ritt eine wunderschöne Schimmelstute. Sie hatte einen sicheren und geraden Tritt. Ihr schnauben wahr deutlich zu hören, jedoch frei von Nebengeräuschen. Kein keuchen oder ziehen war zu vernehmen. Sie hatte einen kräftigen, Raum gewinnenden, Galopp.

 

Der Kurs wahr ein großes Oval. Start und Ziel waren identisch. Die Menschenmenge am Ziel nahm immer noch zu. Der Geräuschpegel schwoll so stark an, dass er auch am entfernsten Punkt noch zu hören war. Zoltan und ich spürten wie unser Gegner versuchte das Tempo noch zu erhöhen. Zoltan wusste was er zu machen hatte. Er lies keine größere Distanz aufkommen.

Schon hatten wir die obere Krümmung des Ovals hinter uns gebracht und konnten in Richtung Ziel schauen, als der Weg ziemlich schmal wurde. Ein vorbeireiten war hier nicht mehr möglich. Mein Gegner hat das ganz klar gewusst und ausgenutzt. Beim Start hatte ich die Gegend nicht so gründlich in Augenschein nehmen können, war aber überzeugt gewesen selbst auf den letzten Metern noch eine Chance zu haben.

 

Wir kamen aus dem Engpass heraus. Frenetischer Jubel brandete uns entgegen. Jeder war überzeugt ich  hätte verloren. Zoltan zeigte nun sein wahres Können. Mit einer Geschwindigkeit die meinen Gegner, Django und alle anderen überraschte, zogen wir vor und kamen mit Kopflänge voraus ins Ziel. Und wieder hatte ich das Gefühl mindestens ein stechendes Augenpaar sei auf uns gerichtet.

 

         Die Gewinnsumme reichte aus um unsere Weiterreise anzutreten. Allzu gern hätte ich jedoch in  einem der Patrizierhäuser logiert. Meinen Wunsch musste ich  aus Zeitgründen zurückstellen. Wir rüsteten uns für den weiteren Weg. Drei Tage nach dem Rennen verließen wir Dijon.

 

Die Tiere waren ausgeruht. Wir schlugen ein flottes Tempo an. Das nächste Fernziel war Lyon. Hier wollten wir uns allerdings nicht so lange verweilen.

 

Entlang der Saone führte unser Weg immer Richtung Süden. Nach dem Zusammenfluss der Saone und der Rhone waren wir nicht mehr weit von Lyon. Unterwegs hatten Django und ich unsere Akrobatik noch mehr ausgefeilt. In den nächsten drei bis fünf Tagen wollten wir mit verschiedenen Vorstellungen unsere Reisekasse wieder etwas auffrischen.

 

Die Alpen waren schon zu erkennen und der Zugang zum Mittelmeer schien tatsächlich ein angenehmeres Klima zu bieten.

 

Unsere Darbietungen wurden ganz leidlich honoriert. Wichtiger für mich war aber der Beweis, dass wir tatsächlich beobachtet wurden. Es war bei einer unserer schwersten Darbietungen, Django war Untermann, ich hatte mich zum Kopfstand bei ihm aufgeschwungen, und da sah ich ein Gesicht, allerdings verkehrt herum, das mir zunächst nur auffiel. Als ich mit Django darüber redete und das Gesicht beschrieb, war mir klar, das war einer der drei Gauner die von meinen  Tieren eine ordentliche Abreibung erhalten hatten.

 

Die riesige Narbe auf der rechten verschobenen Gesichtshälfte war, wenn man den Zusammenhang kannte, als Hufeisenabdruck zu definieren. Die Gauner hatten es wohl immer noch auf meinen Zoltan abgesehen. Aber jetzt war ich noch vorsichtiger als bisher. Sie sollten mein Pferd nicht bekommen. Django, dem nun auch alles klar war würde mich dabei unterstützen.

 

Das Geschäft lief immer besser, so wurden es dann doch acht Tage die wir in Lyon zubrachten.

 

Ursprünglich wollten wir vor Weihnachten in Arles sein. Schafften es aber nicht. Die Witterung beeinträchtigte auf einmal die Weiterfahrt erheblich. Wir brauchten mehr als 20 Tage.

 

Ein Schneesturm zwang uns unverhofft mitten in der Landschaft zu halten. Weit und breit kein Schutz gegen den Unbill des Wetters. Der Sturm zerrte an der Zeltbahn des Zigeunerwagens. Django und ich mussten alle Kräfte aufbieten, um unser Gefährt zu retten. Diesen Augenblick nutzten drei Schurken um Zoltan zu rauben.

 

Zoltan und der Esel hatten inzwischen dicke Freundschaft geschlossen. Es war darum nicht verwunderlich, dass der Esel ohne zögern folgte und den Raub erschwerte. Legte der Sturm mal eine kurze Pause ein war sein durchdringendes iah, iah klar zu hören. Django, zeigte auch hier seine Klasse. Ohne einmal zu zögern ritt er mit seinem  Pferd den Räubern nach. Ich musste die Beine in die Hand nehmen um einigermaßen zu folgen.

 

Der Sturm jagte uns die Schneeflocken ins Gesicht. Der Schnee ging in Regen über, die Sicht wurde klar, aber wo waren die Räuber. Von den Entführern und den Tieren war nicht´s zu sehen. Django blieb stehen und ich holte auf. Wir lauschten beide auf die Schreie des Esels. Nichts, gar nichts war zu hören. Wir glaubten schon die Fährte verloren zu haben, als Django ein breites Grinsen auf sein Gesicht zauberte.

 

Es war folgerichtig: auch sie mussten gegen den Sturm ankämpfen und mussten auch noch die Widerspenstigkeit der Tiere kompensieren, sie konnten nicht weit vor uns sein. Eine Brücke über die Rhone war offensichtlich der Auslöser für das Grinsen von Django; denn so glaubte er, nur dort könnten sich die Räuber versteckt halten.

 

Wir trennten uns und gingen von beiden Seiten auf die Brücke zu. Vorsichtig jede Deckung nutzend ging ich vorwärts. Django ging wieder auf den Weg zurück und lief schnurstracks zur Brücke. Auf der Brücke angelangt gab er mir Zeichen. Ich sollte mich den Gaunern zeigen, um sie zum Davonlaufen zu bewegen. Ich folgte seiner Aufforderung und schon schlugen die Diebe die andere Richtung ein. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam Django von der Brücke herab und saß einem der Burschen im Nacken.

 

Er packte ihn und warf ihn mitten in die Rhone. Aus dem Stand sprang er in die Höhe spreizte die Beine und warf gleich zwei Gegner aus den Sätteln. Wir brauchten weiter nichts mehr zu tun. Den Tieren hatten sie die Mäuler zugebunden. Diese zeigten nun ihre Kehrseite und schlugen kräftig nach den Burschen aus. Sie hatten keine Chance beide mussten ihre Brutalität mit dem Leben bezahlen. Den Rhonetaucher ließen wir ziehen.

Wir befreiten die Tiere von der unwürdigen Fesselung und suchten nach eventuellen Verletzungen. Zu unserer Zufriedenheit stellten wir fest, dass keine Verletzungen bestanden. Der Esel konnte sein bekanntes iah, iah hören lassen. Klang es nicht wie voller Triumph?

 

Zurück am Zigeunerwagen mussten wir noch das eine oder andere in Ordnung bringen, bevor es weiter gehen konnte. Im nächsten Gasthof wollten wir uns mindestens zwei Tage der Ruhe gönnen.

 

Auch wenn das Wetter vom mediterranen Klima des Mittelmeeres beeinflusst wurde, das Reisen war trotzdem nicht so angenehm. Wir beeilten uns nach Arles zu kommen. Hier überraschte mich Django. Er steuerte zielbewusst auf ein mehrstöckiges Gebäude am Ufer der Rhone zu und erklärte mir: jetzt bin ich wieder zu hause.

 

Sein Adlatus begrüßt uns überaus herzlich und freute sich wie ein kleines Kind seinen Herrn wieder zu sehen. Er gab keine Ruhe bevor Django nicht wirklich alles inspiziert hatte und mehrfach erwähnte wie zufrieden er ist. Dieser Kontrollgang gab mir gleich umfassende Einsicht in das Anwesen, das Django besaß. Ich war sehr beeindruckt.

 

Inzwischen hatten weitere Helfer den Wagen verstaut und unsere Tiere versorgt. Wir konnten also unbesorgt im Haus bleiben. Es war schon sehr spät, deshalb bekam ich mein Boudoir angewiesen.  Binnen kürzester Zeit war die Badewanne mit wohl temperiertem Wasser gefüllt und ich konnte ausgiebig baden. Das war schon lange nicht mehr der Fall gewesen.  Dementsprechend genoss ich es. Erst weit nach  Mitternacht kam ich in meine Liegestatt. Bett konnte man dies nicht nennen, das wäre zu profan.

 

Der Morgen war schon relativ alt, als mir Django ausrichten ließ er wolle mich sprechen. Ein reichliches Frühstück, vom Adlatus serviert, leitete einige Erklärungen über und von dem Hausherrn ein.

 

Am Nachmittag gingen wir gemeinsam auf der Alyscamps spazieren, wo die Erzählungen und Erklärungen weiter gingen.

 

Django war ein Findelkind. Eine Zigeunerin nahm sich seiner an. Diese Zigeunerin wurde eines Tages zur Königin gewählt.        Das war der Zeitpunkt wo sich Django von den Zigeunern abnabelte. Das ständige umherreisen lag ihm nicht im Blut. Von seiner Mutter erhielt er eine stattliche Summe mit der er das Anwesen in Arles kaufte. Gelegentlich besuchte ihn seine Mutter oder er traf sich mit ihr und der Sippe in der näheren oder weiteren Umgebung von Arles.

 

Eines Tages erhielt er Nachricht vom Tod seiner Pflegemutter. Die Sippe war zersprengt. Er konnte nirgends klare Antworten auf seine Fragen über den Tod seiner Mutter erhalten. Über viele Jahre war er immer wieder in Frankreich Gerüchten nachgegangen, ja sogar in Spanien hatte er Nachforschungen angestellt. Alle ohne Ergebnis.     Die letzte Spur führte ihn nach Straßburg wo wir uns kennen lernten.

 

Von meinem Wunsch die Heimat meines Vaters kennen zu lernen hatte ich ihm schon  während unserer Reise berichtet. Ich war deshalb schon ganz unruhig und wollte unbedingt weiter. Er riet aber eindringlich ab im Winter über die Pyrenäen zu reiten.       Außerdem hätte er da noch eine schöne Überraschung für mich und sehr wahrscheinlich könnte ich in Gesellschaft in den Süden Spaniens reisen.

 

Ich gab mich geschlagen und willigte gerne ein noch einige Zeit Gast bei ihm zu sein. Es fiel mir nicht schwer klein beizugeben.  Bei so einer super Verpflegung und wohltuenden Betreuung. Auch meinen Tieren schien es zu gefallen.

 

Django lebte sehr zurückgezogen. Außer seiner Dienerschaft kannte er kaum jemand in Arles. Durch meine täglichen Ausritte kannte ich bald mehr Bürger von Arles als er. Manchmal lies ich es mir nicht nehmen den Mittagstisch außerhalb einzunehmen oder auch den Abend anderswo zu verbringen.

                  

Manchmal kam es vor, dass ich die 24 Kilometer bis zum Meer mit Zoltan zurücklegte, natürlich in Begleitung des Esels, und mich dort stundenlang verweilte. Erst spät in der Nacht kehrte ich heim. Django machte mir keine Vorwürfe deswegen, aber ich erkannte die Sorge in seinem Gesicht.

 

Endlich war es soweit. Die Frühlingssonne wärmte das Land. Es wurden Vorbereitungen für die Abreise getroffen.   Am Vorabend hatte Django seine Überraschung preis gegeben: Es ginge nach Saintes-Maries-de-la-Mer zum berühmtesten Wallfahrtsort der Zigeuner/Gitanes aus aller Welt. Ich erzählte ihm nicht, dass mich meine Ausritte mehrmals in diesen Ort geführt haben. Die Prozession wäre zwar erst am 24./25. Mai, da ich aber noch nie das Meer gesehen hätte wollte er ein paar Tage früher dort sein. 

 


 

Erich Peter Kuhn©

Redaktionell ergänzt im Juli 2014