Ein Alptraum
-eine beinah´ wahre Geschichte-
von
€rich Peter Kuhn
Ein Alptraum
Hallelujah! Es war nur ein Traum, ein Alptraum.
Nach beinahe 45 Jahren Schulabstinenz saß ich doch tatsächlich noch einmal mit meinen KlassenkameradenInnen im Unterrichtsraum Nr. 8, 1. OG Ostseite.
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Es war seit längerer Zeit endlich mal wieder ein sehr schöner Spätsommertag, der eher zum Baden ins Binsfeld einlud, als hier im stickigen Raum die Schulbank zu drücken. Damit wenigstens der halbe Tag gerettet war, wurde für nachmittags ein Stelldichein am Badestrand organisiert. Wir waren gerade bei Detailfragen zu Fußball, Federball etc. - im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit - als nicht unser Lehrer Schotthöfer, sondern Schwester Olivia, genannt „Kattl", das Klassenzimmer betrat.
Ein Schreck größten Ausmaßes überkam uns alle; wir waren total gelähmt. Ausgerechnet die „Kattl" sollte unseren erkrankten Lehrer ersetzen? Kaum zu fassen. Wir hatten uns noch nicht ganz von diesem Schrecken erholt, kam es knüppeldick. Die achte Klasse würde ja bald die Schule verlassen und den „Ernst des Lebens" kennen lernen. Um uns darauf etwas vorzubereiten sollten wir einen Aufsatz mit dem Thema „Vom Eintritt in das Berufsleben bis zum Rentenbeginn" erarbeiten. Es stünden uns zwei Stunden zur Verfügung und wir sollten unsere Fantasie ausgiebig bemühen, damit wir ausgezeichnete Resultate erzielen würden.
Vom Beten blieben wir zwar verschont, aber dieser Schmus war Strafe genug.
Sie hatte uns sogar Schreibpapier ausgeteilt, und zwar für jeden von uns drei Bögen. Das bedeutete, sie erwartete einen Aufsatz von bis zu zwölf Seiten!!!! Oh Graus, welch eine verrückte Idee. Unsere Badestimmung war im Eimer. Der Tag war ausgiebig verdorben. Noch hatten wir doch Schonzeit. Unsere Entlassung war doch erst in etwa einem halben Jahr. Klar hatten wir schon Bewerbungen losgelassen und auch die eine oder andere Zusage war eingetrudelt. Aber mit den Gedanken waren wir immer noch in der Schule.
In meinem Kopf schwirrte es unheimlich. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Verstohlen blickte ich in die Runde um zu sehen, was machten die Anderen. Bei den Jungs sah ich einige, die ebenso ratlos waren wie ich. Die Mädels aber legten fleißig los. Ich konnte das nicht verstehen. Ich wartete vergebens auf eine Eingebung. War es der Einfluss, der lange vermissten Sonnenstrahlen, der Schock, den die „Kattl„ verursacht hatte? Oder was war los mit mir? Ich brachte nichts aufs Papier. Die Zeit verrann, mein Blatt blieb leer, leer, leer.
Nach zwei quälenden Stunden mussten wir die Papierbogen zurückgeben. Meine Bögen waren die einzigen, die als Zierde nur den Namen und die Überschrift trugen. Alle hatten mehr oder minder etwas niedergeschrieben. Keiner konnte glauben, dass ich leere Bögen zurückgebe, am allerwenigsten ich.
Aber es war so. Ich fühlte mich deshalb wie erschossen.
„Kattl" nickte noch freundlich als ich ihr das Papier in die Hand drückte. Als sie jedoch meine nicht vorhandenen Ausführungen über das Thema sah, wurde sie kreidebleich. Sie vergaß ihre katholische Lebensphilosophie und flippte regelrecht aus. Einer Kanonade gleich war die Standpauke die ich erdulden musste, einer - oder auch mehrerer - Ohrfeige(n) konnte ich gerade noch ausweichen. Nach der großen Pause würden wir uns gründlich unterhalten. Das ließe sie auf keinen Fall mit sich machen. Dieser Affront hätte ernsthafte Konsequenzen.
Die große Pause war eine einzige Qual. Was kommt da wohl auf mich zu? Der Trost der KlassenkameradenInnen konnte mich nicht aufpäppeln. Nach zähen zehn Minuten ging es zurück in den Unterrichtsraum.
Da war sie wieder, mit dem Rektor. Beide hatten eine bitterböse Miene aufgesetzt. Auch der Rektor hielt mir eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Einen solchen widerspenstigen Schüler habe er noch nicht erlebt. Mein Verhalten hätte enorme Konsequenzen. Meine Eltern würden informiert und auch mein künftiger Lehrherr. Jetzt ist alles aus dachte ich und igelte ich mich deshalb ein. Ließ keine weiteren Szenarien an mich heran. Ich konzentrierte mich ganz und gar auf die lieblichen Sonnenstrahlen, die immer noch in unser Klassenzimmer fluteten, und sah mich lachend am Badestrand. Nichts kann mich mehr schockieren, dachte ich. Doch da drangen Worte an mein Ohr, die ich zunächst nicht glauben konnte.
An den Marterpfahl (Totem) sollte ich gebunden werden. Da Pfeil und Bogen nicht zur Verfügung standen, und ich ja auch nicht körperlich verletzt werden sollte, sollte ich mit Papierfliegern beschossen werden. Jeder meiner Mitschüler sollte drei „Schuss" haben. Und ich sollte deshalb 19 mal 3 Papierflieger basteln. Durch die ganzen Wirren war ich wie gelähmt. Ich war nicht in der Lage läppische Papierflieger zu basteln. Die spontane Mithilfe meiner Mitschüler wurde strikt unterbunden. Ich ganz allein sollte die geforderte Menge produzieren.
Die Tatsache, dass meine Bastelfähigkeiten regelrecht blockiert waren, wurde als weiterer Boykott ausgelegt und ich musste in die zweite Klasse, um das Basteln von Papierfliegern zu erlernen. Welch ein Gelächter brandete mir entgegen als ich in den Klassenraum geführt, nein mehr geschubst, wurde. Mir klingelten die Ohren. Es brauste in meinem Kopf. Es half alles nichts ich musste mit 8jährigen Flieger basteln.
Es dauerte unheimlich lange, bis ich 57 Papierflieger gefertigt hatte. Diese wurden dann zu dreien an die Mitschüler verteilt. Alle Klassen und der Lehrkörper strebten in den Schulhof. An der Tür und der Schulhoftreppe kam es zu heftigen Rempeleien. Jeder wollte der Erste sein, um einen guten Platz zu erhaschen.
Ich wurde an den Marterpfahl (Totem) gebunden, nachdem ich das Hemd abgelegt hatte. Auf meinen nackten Oberkörper wurde eine bunte Zielscheibe gepinselt. Grün war der äußere Kreis, braun der mittlere und rot das Zentrum. Wenn mindestens ein Papierflieger das Zentrum erreicht habe ich verloren, wurde mir gesagt. Wenn ich dagegen einen Flieger mit den Zähnen festhalten könnte, wäre ich frei. Das Lehrerkollegium bildete die Jury.
Als die Jury nach den ersten Würfen feststellte, dass man versuchte mir zu helfen, in dem der Flieger Richtung Kopf gezielt wurde, erhielten die nächsten Werfer Augenbinden. Trotzdem versuchte ich immer wieder einen Flieger mit den Zähnen zu fassen. Es gelang mir einfach nicht. Die umstehende Menge johlte, wie bei einem Volksfest. Die Sympathien waren etwa fifty fifty. Kein Flieger wollte ins Zentrum, keiner aber auch in meinen Mund.
Die umherfliegenden Wurfgeschosse wurden von den Zuschauern aufgesammelt. Jeder warf seinen Fund in die Luft, eine wilde Fliegerei war die Folge. Überall schwirrten die Papierflieger durch die Luft. Ich sah nur noch Flieger, Flieger, Flieger. Keiner kam zu mir, damit ich ihn mit den Zähnen fassen konnte. Da plötzlich, ich glaubte schon nicht mehr daran, hatte ich einen Papierflieger erwischt. Ich hielt ihn zwischen den Zähnen fest und stieß einen unglaublichen Jubelschrei aus, der auch den Traum beendete.
Kopfkissens.
Eins, zwei, drei im Sauseschritt,
eilt die Zeit, wir eilen mit.
Erich Peter Kuhn©
Redaktionell ergänzt im Juli 2014
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